Saal der Lehrkräfte

---> Wohnung

Obwohl er sich vorgenommen hatte in die Mensa zu gehen, hatte es Alejandro in den Saal der Lehrkräfte verschlagen. Irgendwie war er vor seiner ersten Unterrichtsstunde so aufgeregt, dass er ohnehin keinen Bissen hinunterbekommen hätte.
Um sich ein wenig zu entspannen, tat er das, was er jeden Tag zu Hause machte. Er warf die Kaffeemaschine an und machte sich einen sehr heißen und vor allem sehr schwarzen Kaffee.
Vielleicht würde dieser seine Nerven beruhigen...
Er hoffte darauf, dass einige seiner neuen Kollegen nach und nach eintrudeln würden, damit er sich mit ihnen austauschen konnte.

<--- Haus von Steve Morrison

Als sie den langen Gang hinunter gingen schwiegen sie. Steve lauschte dem Widerhall ihrer Schritte. Seine eher langsamen Schritte verursachten ein eher dumpfes Hallen, während ihre Absätze ein helles Klappern hervorriefen. Er sah hinüber zu ihr und musterte unterm gehen ihr Profil. Sie sah angespannt aus. "Und schon aufgeregt?", fragte er sie in einem neckenden Tonfall. Die Frage war natürlich überflüssig, es war klar, dass sie nervös war.
"Nein.", antwortete sie entschlossen. Er schmunzelte. Die Antwort war klar gewesen. Sie würde sich niemals eine solche Schwäche eingestehen, zumindest nicht vor ihm.
Endlich erreichten sie die schwere Holztür zum Saal der Lehrkräfte. Automatisch öffnete er die Tür für sie. "Nach dir." Mit hochgezogenen Augenbrauen blickte sie ihn an. "Danke."
Sie betraten einen unerwartet hellen, weitläufigen Raum. Der graue Teppichboden dämpfte das Geräusch ihrer zögerlichen Schritte. Es war bereits jemand anwesend, ein junger Mann, der sich gerade, dem Geruch nach zu urteilen eine Tasse Kaffee genehmigte.

Er war noch immer sehr aufgeregt. Der Kaffee hatte ihm nicht geholfen, sondern eher das Gegenteil bewirkt. Er fühlte sich nun noch aufgedrehter, als vorher.
Warum war er nur so nervös?
Er stellte seine Tasse ab und begann in dem leeren Raum auf und ab zu wandern, um durch die Bewegung seine Nerven endlich in den Griff zu bekommen.
Als er gerade wieder bei dem Tisch ankam, auf den er seine Tasse gestellt hatte, öffnete sich die Tür und ein Man und eine Frau betraten den Raum.
Der Mann war offensichtlich schon ein wenig älter, denn er hatte einige Falten im Gesicht und sein Haar war an den Schläfen ergraut.
Die Frau sah eigentlich noch sehr jung aus und hatte lange blonde Haare.
Plötzlich bemerkte Alejandro, dass er seinen Gang durch den Saal fortgesetzt hatte und die anderen Lehrkräfte gleichzeitig anstarrte.
Na super! Gleich am ersten Tag! Naja, jetzt ist es zu spät!
"Hallo, ich bin Alejandro!"

Inès blickte den jungen Mann an, der sich als Alejandro vorgestellt hatte. Er sah ebenso aufgeregt aus, wie sie sich fühlte. Was er wohl unterrichtet? Auf Anhieb konnte sie jedenfalls keine Hörner oder Schuppen an ihm entdecken. Ihr war natürlich klar, dass die meisten Übernatürlichen ihre wahre Identität nicht unbedingt zur Schau stellten, doch wenn sie an Hexen oder Kobolde dachte, ließ sich eine gewisse Vorstellung vom Aussehen desjenigen einfach nicht vermeiden. So setzte sie ein freudliches Lächeln auf und begrüßte den jungen Mann. "Hi, ich bin Inès, Inès Fleurant. Sie sind auch Lehrer hier?"

"Ja, ich unterrichte Einsatz spezieller Fähigkeiten und Recht", antwortete er der Frau, die ihn nett anlächelte.
Er fragte sich zu welcher Spezies die beiden wohl gehören mochten.
"Und was unterrichten sie", fragte er neugierig.
Da die beiden etwas erfahrener aussahen, hoffte er, dass sie ihm den ein oder anderen Tipp geben würden.

"Ich unterrichte Französisch und Geschichte.", hörte Steve Inès antworten. Ihm wurde bewusst, dass er sich noch nicht vorgestellt hatte. "Und ich gebe Alchemie & Zaubertränke, und Magie. Ich bin übrigens Steve." Er lächelte und schritt auf den Mann zu, um ihm die Hand zu schütteln. Er sah sich im Raum um. "Anscheinend sind wir die Ersten hier. Um diese Uhrzeit hätte ich mehr Lehrkräfte hier erwartet." Er setzte sich neben den herausgezogenen Stuhl, auf dem Alejandro wohl zuvor gesessen haben mochte.

Inès ging hinüber zur Kaffeemaschiene um sich eine Tasse Kaffee zu holen. Wie Automatisch machte sie auch eine zweite für Steve, ohne Zucker, dafür mit Milch, so, wie er ihn immer getrunken hatte. Sie ging mit den beiden Tassen zu den Männer zurück, die sich gerade vorgestellt hatten und setzte sich neben Steve. Sie reichte ihm die Tasse.
"Oh, danke."
Erst jetzt fiel ihr auf, dass es eigentlich eine merkwürdige Geste gewesen war, ihm unaufgefordert einen Kaffee mitzubringen. Ahhh, die Macht der Gewohnheit! Und das, obwohl sie bis vor Kurzem nichts miteinander zu tun gehabt hatten.
Sie nippte an ihrem Kaffee - Drei Stück Zucker, ein kleines bisschen Milch - und sah wieder zu Alejandro auf. Einsatz spezieller Fähigkeiten und Recht...
"Und was ist dann Ihre spezielle Fähigkeit? ", fragte sie neugierig. Sie sah ihn noch einmal genau an, konnte jedoch auf Anhieb keinen Hinweis auf seine Fähigkeit finden.

Nachdem die Frau sich selbst und auch ihrem Begleiter eine Tasse Kaffee geholt hatte, was Alsjandro vermuten ließ, dass sich die beiden näher kannten, fragte sie ihn nach seinen "speziellen Fähigkeiten".
"Ich unterrichte den Einsatz spezieller Fähigkeiten im Wasser. Das fällt in mein Spezialgebiet, da ich ein Meermann bin", antwortete er ihr.
"Und was unterrichten sie beiden, wenn ich fragen darf?"
Neugierig darauf mehr zu erfahren blickt er die anderen Lehrer an. Seine Nervosität war nun fast verschwunden.

Wow, ein Meermann... Sie wäre lieber im Boden versunken, als zuzugeben, dass sie Schuppen und Kiemen erwartet hätte - Dieser junge Mann sah vollkommen normal aus, nie hätte sie, wenn sie ihn auf der Straße gesehen hätte und nicht in einer Schule, die übernatürliche Jugendliche unterrichtete, für etwas mehr als einen Menschen gehalten.
"Nun ja, wie gesagt, ich unterrichte Französisch und Geschichte. Ich bin seit einigen Jahren Lehrerin an Schulen für Menschen, da ich selbst auch ein Mensch bin. Zu dieser Anstellung hier bin ich durch Steve gekommen, er hat mich vermittelt." Sie sah hinüber zu Steve und als sich ihre Blicke trafen spürte sie verärgert, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Dämlicher Steve! Nein, ICH bin dämlich! Ich bin doch kein Teenager mehr! Schnell sah sie wieder zu Alejandro, der sie interessiert musterte. "Ich bin schon richtig gespannt! Ich bin zwar jetzt schon sehr lange als Lehrerin tätig, aber das hier ist wirklich eine ganz neue Erfahrung!"

"Das hier ist meine erste Anstellung. Ich habe das Studium gerade erst beendet und bin wirklich gespannt darauf, wie es ist zu unterrichten. Ich habe nämlich in meinem Praxissemester nur in meiner Heimatstadt als Lehrer arbeiten dürfen. Dort kannten mich ja alle und es war nicht weiter schwierig. Aber jetzt... Das ist eine ganz andere Situation...
Könnten sie mir vielleicht einen Tipp geben, wie man schnell das Eis brachen kann?"
Alejandro hoffte, dass die beiden erfahreneren Lehrer ihm etwas helfen konnten. Er war dankbar für jede Hilfe, die er bekommen konnte.
Während er auf eine Antwort wartete, dachte er über den Blick nach, den die Frau ihrem Kollegen zugeworfen hatte.
Das verspricht ja interessant zu werden. Die zwei waren anscheinend mal ein Pärchen... Sie mag ihn wohl immer noch.

"Hmmm, naja, am wichtigsten ist wohl der erste Eindruck, den man vermittlet. Man sollte auf jeden Fall selbstsicher auftreten und sich nicht verstellen. Schüler merken sofort, wenn man nicht man selbst ist... Ansonsten kommt es darauf an, was für ein Typ man ist. Ist man beispielsweise ein humorvoller, lustiger Typ, ist es nie schlecht, das auch zu zeigen. Aber man muss auch manchmal streng sein, sonst meinen sie, sie können sich alles erlauben."
Steve überlegte was er dem jungen Mann sonst noch raten konnte. Es war nicht leicht sich als Lehrer Respekt zu verschaffen und doch ein freundschaftliches Verhältnis zu den Schülern aufzubauen. "Machen sie sich nicht zu viele Gedanken. Seien sie locker!" Er lächelte angesichts seines abgegriffenen Vokabulars. Wer hatte diesen Ausspruch noch nie gehört, wenn man weinig Grund zu Lockerheit hatte? "Denken sie doch an einen Lehrer, den sie als Schüler selbst respektierten oder gern hatten. Was machte diesen Lehrer zu einem guten Lehrer? Versuchen Sie doch, sich von dem etwas abzuschauen."

"Danke", antwortete Alejandro etwas beruhigter. Er würde das schon irgendwie schaffen.
Er trank den Rest seines Kaffees aus, der inzwischen kalt geworden war.
"Und wo wohnen sie beide? Etwa auch im neuen Wohngebiet?"
Er wollte den beiden auf den Zahn fühlen und herausfinden, ob sie immer noch ein Paar waren. Er wollte nicht schon wieder in ein Fettnäpfchen treten, da ihm aufgefallen war, dass er Inès schon zum zweiten Mal gefragt hatte, was sie unterrichtete.
So ein Mist! Bescheuerte Aufregung!

"Ich schon, ich habe im neuen Wohngebiet ein Haus.", antwortete Steve. Sie beide hatte er gesagt... Ob er wohl gedacht hatte, sie wäre ein Paar? Nun ja, ganz falsch hatte er in dem Fall nicht gelegen, schließlich waren sie vor langer Zeit mal eines gewesen. Aber das ist jetzt schon ewig her...
Er konnte sie schon beinahe wieder vor sich sehen, die Wohnung, die sie damals bewohnt hatten. Sie war winzig gewesen, beinahe schon zu klein für eine Person allein, doch das hatte sie nie gestört. Das große Bett mit dem weiß lackierten Kopfteil. Die geblühmten hellen Vorhänge, die sie damals ausgesucht hatte, und die er nie gemocht hatte - bis sie eines Tages zusammen mit ihr nicht mehr da waren.
Es war kein Schock gewesen, er war genauso an dieser Entscheidung beteiligt gewesen wie sie. Es war keine plötzliche, willkürliche Trennung gewesen, sondern ein erwachsenes, einvernehmliches Auseinandergehen. Es war ihnen damals als die klügste Handlungsweise erschienen. Manchmal musste man erwachsen handeln.
Steve sah wieder auf. Für einen kurzen Moment war er mit seinen Gedanken woanders gewesen.

Nachdem Steve die Frage des jungen Mannes bejaht hatte, erklärte auch sie ihre Wohnsituation: "Momentan bin ich auf Wohnungssuche. Ich habe zwar immer noch meine alte Wohnung in Montréal, aber ich möchte nun auch ins Ville-Marie ziehen. Mir gefällt das Viertel schon lange, und außerdem ist es näher an der Schule."
Es stimmte, sie hatte schon seit langem mit dem Viertel geliebäugelt, und nun hatte sie auch einen Grund, sich dort eine Wohnung zu suchen, doch das war einfacher gesagt, als getan. Sie hatte nicht mehr lange Zeit, eine neue zu finden, da sie die alte bereits gekündigt hatte und der Wohnungsmarkt war zur Zeit eine Katastrophe.
"Sie wohnen also schon im Ville-Marie? Gefällt es Ihnen dort? Schließlich sind Sie nicht von hier, Ihrem Namen nach zu urteilen."

"Ja, ich wohne bereits in der Ville-Marie. Die Wohnungen dort sind wirklich schön, vor allem weil man in der Inneneinrichtung sehr frei ist. Das heißt zumindest bei meinem Vermieter... Deshalb konnte ich auch eine Wand herausreißen und habe sie durch ein großes Aquarium austauschen lassen. Jetzt sieht die Wohnung fast aus wie meine Heimatstadt, die vor der spanischen Küste liegt"
Jetzt hatte er die beiden aber vollgequatscht. Als ob es sie interessieren würde, wie er seine Wohnung eingerichtet hatte.
"Wollt ihr in die Mensa gehen, dann können wir uns die Schüler aus der Nähe ansehen und uns schon mal einen kleinen Überblick verschaffen."

"Gut, wieso nicht. Es kann nicht schaden sich mal einen kleine Überblick zu verschaffen."
Er stand auf und nahm seine Kaffeetasse hoch. Inès neben ihm hatte sich ebenfalls erhoben. "Gib mir deine Tasse, bitte. Wenn du mir einen Kaffee mitbringst kann ich deinen auch wegstellen."
Sie reichte ihm ihre Tasse und er schritt zügig zur Spüle hinüber. Dort war auch eine Spülmaschiene, in die er die Tassen stellte. Er drehte sich wieder um und ging mit den beiden anderen zur Tür hinaus.

---> Mensa

---> Nach einigen Stunden des Unterrichtens hat Steve nun schon seit einigen Minuten eine Freistunde.

Steve hatte es sich zusammen mit einer Zeitung und einer Tasse Kaffee in einem Stuhl bequem gemacht und genoß die Wärme der Sonnenstrahlen, die durch das Fenster neben ihm fielen. Der Unterricht war zu seiner Zufriedenheit verlaufen, doch nun, am Ende des Tages war er ziemlich erschöpft. Es war immer schwer in den ersten Tagen, zumindest so lange, bis man sich einigermaßen eingewöhnt hatte. Seuftzend strich er sich sein ohnehin schon abstehendes Haar zurück und rutschte im Stuhl weiter nach unten. Er schloss die Augen und lies seine Gedanken driften, weit weg von den Ereignissen des Tages.
Er hörte, wie die Tür zum Saal geöffnet wurde und öffnete träge ein Auge. Als er jedoch sah, wer da in der Tür stand, breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus.
"Hallo.", begrüßte er eine ziemlich mitgenommen wirkende Inès und richtete sich gleichzeitig in seinem Stuhl auf.
"Hallo.", sagte sie ihrerseits, während sie auf den Stuhl ihm gegenüber zusteuerte. "Liegt es an mir, oder war dieser Tag doppelt so lang als normal? Ich fühle mich wie gerädert."
Als er ihr so zusah, wie sie sich ganz unladylike in den Stuhl plumpsen ließ und die hochhackigen Schuhe auszog, musste er sich zusammennehmen, um nicht loszulachen.
"Harten Tag gehabt?"
"Du machst dir keine Vorstellung.", sagte sie, ohne von ihren Füßen aufzublicken.