Gang zu den Sanitären Anlagen

Er war zu spät. Immer wieder war er zu spät. Dieses Mal war es aber nicht seine Schuld gewesen. Der Flieger war zu früh gestartet. Zumindest für seine Mutter. Sie musste sich ja eine halbe Stunde von ihm verabschieden...
Naja, jedenfalls hatte er den Flug verpasst und musste nur schlappe 12 Stunden auf den nächsten warten. Und jetzt war er zu spät und wahnsinnig müde.
Er wusste, dass es um diese Zeit schon das Frühstück gab, denn er war schon mehreren seiner Mitschüler begegnet, die auf den Weg in die Mensa waren.
Er wollte nur noch seine Sachen auf sein Zimmer bringen, sich umziehen und dann frühstücken gehen.
Er hoffte, dass er anschließend noch Zeit haben würde sich zu duschen.
Aiden raste weiter wie von Sinnen den Gang entlang.

Mensch, Dad!
Natürlich. Ihr Vater hatte ja darauf bestanden, sie höchstpersönlich zu ihrer neuen Schule zu fahren. Wohl um sicher zu gehen, dass sie auch ja gut ankomme. Dabei bezog sich das 'gut' weniger auf ihr Wohlbefinden, als auf das der Leute um sie herum, aber naja.. irgendwie konnte sie ihn auch verstehen. Dass sie ihn verstand hieß aber nicht, dass es sie nicht verletzte, dass er so kühl war, wenn es um sie ging.
Egal. Jedenfalls war sie erst heute morgen angekommen, dazu noch im Stau gestanden! Was ich gestern wohl alles wichtige verpasst hab? Eins hab ich garantiert verpasst.. Die Abzweigung zu meinem Zimmer. Hier gehts ja zu den Waschräumen! Ein guter Orientierungssinn gehörte nicht gerade zu ihren Fähigkeiten.
Na gut.. Ich kann mir auch genauso gut nochmal durch die Haare gehen oder so, bin ja von dem Stress eh ziemlich zerzaust..
Also sauste sie weiter den Gang entlang, um endlich irgendwo anzukommen, entweder in ihrem Zimmer oder im Bad.

Er rannte weiter. Dabei betrachtete er den grauen Schieferboden, der hier in der Schule vorzuherrschen schien.
Wie lang ist dieser Gang eigentlich? Ich glaube, dass ich schon mindestens eine halbe Stunde hier entlanglaufe.
Da er so unter Zeitdruck stand, kam ihm alles viel länger vor, als es tatsächlich war.
Plötzlich saß er auf dem Boden. Was ist passiert?
Aiden blickte sich verwirrt um, dann erblickte er vor sich ein Mädchen, das ebenfalls auf dem Boden saß. Sie mussten wohl zusammengeprallt sein, weil er nur auf den Boden geschaut hatte.
Schnell rappelte er sich auf.
"Es tut mir so leid!", entschuldigte er sich sofort. Er reichte dem Mädchen seine Hand, um ihr aufzuhelfen und dann passierte es...

Sie war angekommen. IN einem anderen Memorianten. In der Hektik war sie wohl mit jemand anderem zusammengestoßen. Ihr war etwas schwindlig, um sie herum lagen ihre und seine Sachen verstreut und übereinander. Er reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen. Dankbar, da es sie immer noch drehte, ergriff sie sie. Dann kam die Explosion. Die Gefühlsexplosion. Sobald sich ihre Handflächen berührten, knisterte es, man konnte beinahe elektrische Fasern zwischen ihren Fingern hin und her rasen sehen. Zumindest fühlte es sich danach an.. Auf die Finger und Hände folgten die Arme, der ganze Oberkörper, bis hinunter in die Beine und Zehen und dann wieder hinauf. Hitze schoss ihr in die Wangen, vorher in ihren Unterleib. Wie automatisch fanden sie sich. Seine und ihre Lippen. Es war ein leidenschaftlicher Kuss, sehr lange und fordernd. Danach riss sie die Augen auf und war wie erstarrt. Überall in ihr war diese Hitze und jetzt konnte man es ihr auch deutlich ansehen. Ihre Wangen glühten.

Seine Gefühle überwältigten ihn. Er konnte nicht mehr denken. Was war nur los mit ihm?
Aiden konnte sich nicht helfen. Wie automatisch fanden seine Hände die ihren und wanderten dann zu ihrem Rücken.
Er presste seinen Mund auf ihren. Was war nur los? Er konnte nicht aufhören. Der Kuss dehnte sie beinahe unendlich in die Länge.
Aiden, du musst aufhören! Nicht schon am ersten Tag! Du wirst sie töten!
Seine innere Stimme warnte ihn, aber er war nicht bereit auf sie zu hören. Die Anziehung zwischen den beiden war einfach zu groß.
Er konnte nicht mehr denken. Er konnte einfach nicht aufhören. Er würde das Mädchen töten...

Oh mein Gott! Ich habe diesen Jungen gerade zum Tode verurteilt. Ihr entgleiste das Gesicht. Über diese schockierende Erkenntnis erwachte sie aus ihrer Erstarrung und schaffte es, sich aus seiner Umarmung zu reißen. Ihre Lippen von den Seinen zu lösen. Es war so schwer, als würde eine magnetische Kraft dafür sorgen, dass sie zusammen sein mussten.
Sie fühlte sich in vielerlei Hinsicht äußerst unwohl.
Erstens hatte sie soeben ihren ersten Kuss erlebt. War ich gut? Wie aufregend!
Zweitens hatte sie das mit einem wildfremden Jungen getan. Ich hab ihn ja fast damit überfallen!? Alle werden denken, ich bin ein leichtes Mädchen. Wie peinlich!
Drittens durfte sie niemals jemanden küssen. Niemals, schließlich war sie ein Sukkubus. Wie tödlich...

Sie riss sich plötzlich von ihm los. Das Gefühl des Verlusts, das ihn nun überkam stimmte ihn seltsamerweise unendlich traurig. Eigentlich sollte er froh sein, denn ansonsten hätte er das Mädchen getötet. Er war ein Incubus und würde es auch für immer bleiben. Er würde irgendwann töten.
Aiden starrte das Mädchen an. Dann kam ihm erst der Gedanke, dass er eine völlig fremde Person geküsst hatte...
"Oh mein Gott. Das tut mir echt leid!" Peinlich berührt begann er die Sachen, die überall auf den Boden verstreut lagen aufzusammeln. Als wäre die Situation nicht schon peinlich genug, hielt er plötzlich die Unterwäsche des Mädchens in der Hand. Spätestens jetzt musste sein Gesicht feuerrot sein.

Da standen sie sich gegenüber. Wie zwei vollkommen verunsicherte Tomaten. Jeder feuerrot im Gesicht und so peinlich berührt, dass sich gerne der Boden unter ihnen auftuen dürfte.
"Du glaubst gar nicht, wie leid MIR das tut.. du solltest heute eventuell mal bei der Schulkrankenschwester vorbeischauen.." Sie sorgte sich um seine Gesundheit. Ihr tat das alles SO leid. Aber irgendwie hatte sie auch gar nichts dagegen machen können!
Als sich der fremde Junge bückte, um sein Zeug aufzuheben, tat sie es ihm gleich und sondierte ihre Klamotten in diesem Knäuelchaos von seinen. Plötzlich hatte er ein Stück ihrer Unterwäsche zwischen den Fingern. Oh nein, bitte lass das nicht.. NEIN, natürlich. Er war es. Der rosafarbene, bestickte Rüschentanga mit Schleifchen. Der EINZIGE Tanga, den sie besaß und auch das nur, weil es ein Set war. Ich muss ihn aus Versehen miteingepackt haben! Spätestens jetzt war es an der Zeit, im Boden zu versinken.
"Ähm..äh, das ist wohl meiner.. nicht ganz dein Stil, denke ich..", stammelte und kicherte sie vor sich hin, bevor sie ihm den Hauch von Nichts entriss. Du hast es geschafft Mel. Du bist noch keine Stunde in deiner neuen Schule und hast bereits zwei Gründe mit riesengroßen Ausrufezeichen dahinter um nach hause zu fahren. Du bist die tödliche Queen der Oberpeinlichkeiten.

Bevor er die Unterwäsche genauer betrachten konnte, hatte das Mädchen sie seinen Händen entrissen.
Oh mein Gott... Kann es denn noch schlimmer kommen? Und das alles schon vor dem Frühstück. Ich dachte, dass es besser werden würde, aber ich glaube ich kann jetzt schon gehen.
Aiden tat das alles furchtbar leid. Als das Mädchen dann auch noch sagte, dass er heute noch gleich zur Schulkrankenschwester gehen sollte, musste er beinahe laut auflachen.
"Du solltest dir besser um dich Sorgen machen. Es tut mir so leid! Ich bin ein Incubus..."
Noch peinlicher berührt blickte er sie an. Er hoffte, dass es ihr gut ging und er ihr nicht zu viel Lebenskraft entzogen hatte.

Er ist ein Incubus? Er ist ein Incubus!
Wahnsinn, war sie erleichtert. So erleichtert, dass sie beinahe die vorhergegangenen Peinlichkeiten vergaß und ihm um den Hals fiel. Sie war so glücklich! Sie drückte ihn kurz, aber fest. Und mit ehrlicher Freude.
"Du glaubst gar nicht, wie froh mich das macht! Ich dachte schon, ich hätte dir Unmengen an Lebenskraft entzogen! Ich bin ein Sukkubus!"
Sie strahlte ihn an. Das war noch einmal gut gegangen.

Auf einmal fing das Mädchen an zu lächeln. Sie strahlte plötzlich über das ganze Gesicht. Was war nur los mit ihr?
Dann fiel sie ihm um den Hals. Das hatte Aiden wirklich nicht erwartet. Glücklich lachte sie in sein Ohr.
"Du glaubst gar nicht, wie froh mich das macht! Ich dachte schon, ich
hätte dir Unmengen an Lebenskraft entzogen! Ich bin ein Sukkubus!"
Sie ist ein Sukkubus... ein Sukkubus!
Auch er war auf einmal sehr erleichtert. Er hatte sie nicht geschwächt. Er konnte sie nicht töten. Sie entzog ihm ebenfalls Lebenskraft und so hatte es sich ausgeglichen.
"Das sind wirklich gute Neuigkeiten."
Es war vielleicht doch nicht alles so peinlich und schlimm gewesen, wie er gedacht hatte. Sie konnten schließlich beide nichts dafür.

"Wow. Es ist echt unglaublich! Die erste Person, die ich hier treffe, ist ein Incubus... Ich bin übrigends Mel."
Sie hielt ihm die Hand hin, um seine zu schütteln, wie man es eben macht, wenn man jemand neues kennenlernt. Dann erinnerte sie sich an das, was gerade passiert war und meinte: "Ist vielleicht keine so gute Idee." Sie wurde abermals rot. Na gut, sie hatte ihn nicht getötet. Aber dennoch hatte sie einen Jungen geküsst, dessen Namen sie noch nicht einmal kannte. Sie musterte ihn jetzt genauer. Er war blond, so wie sie und hatte ebenfalls blaue Augen. Er war ein ganzes Stück größer als sie, wirkte aber überhaupt nicht einschüchternd, sondern sehr freundlich. Seine Haare fielen ihm etwas zerzaust ins Gesicht, aber das gefiel ihr. Sie hatte schon immer Jungs mit wilden Locken beispielsweise dem zurückgegelten Stacheltyp bevorzugt.

Mel. Der Name hallte in seinem Kopf wider. Mel. Das musste eine Abkürzung sein.
"Ich bin Aiden." Gerade als er ihre Hand ergreifen wollte, die sie ihm hinstreckte, zog sie die ihre zurück.
"Ist vielleicht keine so gute Idee."
Damit hatte sie wohl recht. Er wollte nicht, dass es noch einmal passierte. "Ähm... Ich war gerade auf dem Weg in mein Zimmer... Ich bin mal wieder zu spät dran. Wie immer. Das Frühstück ist mittlerweile wohl fast vorbei und ich habe seit gestern nichts mehr gegessen..."
Er zuckte entschuldigend mit den Schultern, lächelte Mel an und begann sie nun genauer zu mustern.
Ihr Haar war wellig, mittelblond und sehr lang. Ihre Augen waren blau und hatten einen grünen Ring. Das machte sie irgendwie interessant..
Aiden bückte sich, um seine letzten verstreuten Sachen aufzuheben.

---> Zimmer #5

"Jaa.. Ich bin auch total zu spät.. Ich hab noch nicht mal mein Zimmer gefunden. Alsoo.."
Sie bückte sich, um den letzten Rest ihrer Klamotten in ihren Koffer zu stopfen. Mel blickte auf die Überreste des vorherigen Chaos. Gott sei Dank haben wir Elvis bereits gesondert vorversandt.. diesen Aufprall hätte der Kleine nicht überlebt. Ihr Koffer knarzte wie in einem beleidigten Tonfall, da er jetzt zum Bersten voll war - schließlich hatte sie jetzt einfach alles ohne Ordnung hineingeschmissen - als sie ihn schließlich zudrückte und verriegelte.
"Ich muss jetzt echt los, hoffentlich finde ich es noch schnell... Ich hätte auch gerne noch was richtiges zu essen, bevor der Tag losgeht.. Vielleicht sehen wir uns ja noch beim Frühstück.. wenn nicht, angesichts unserer.. Fähigkeiten, werden wir garantiert irgendeinen Kurs miteinander haben, Aiden." Seinen Namen betonte sie unterbewusst. Dennoch, es klang lockend, aber was konnte sie schon dafür? Dumme Sukkubus-Angewohnheit. Ihre Augen leuchteten auf, als sie ihm zublinzelte und sich von ihm abwandte.


---> ihr Zimmer (legt dort schnell Zeug ab) ---> Mensa